Die Katze der GalhauDaß Willkür und Unterdrückung, Ketten und Kerker, nicht immer Bestand haben und früher oder später, nach Aufstand und Empörung, zu Freiheit und Frieden führen, vermag die Menschengeschichte aller Zeiten und Zonen, leidvoll und dunkel zu beweisen. Daß zwischen der feierlichen Verkündigung heiliger Ideen und der edlen Zusicherung von Hilfe und deren unseligen Verwirklichung, durch Umstande tragisch verkettet und Personen schuldhaft ausgelöst, mit Tranen und Blut, teuer erkauft, eine tiefe Kluft besteht, davon wissen die Geschicke aus aller Herren Länder, warnend und mahnend, zu erzählen.
Wer den berühmten Beschluß des Nationalkonvents der französischen Republik vom 19. November 1792 vernimmt, dem weiten Hoffnung und Zuversicht das Herz:
Der Nationalkonvent erklärt im Namen des französischen Volkes, daß er brüderliche Unterstützung und Hilfe allen Völkern gewähren will, die ihre Freiheit wiedererlangen wollen, und beauftragt die ausübende Gewalt, den Generälen die notwendigen Befehle zu geben, damit sie diesen Völkern Hilfe bringen und die Bürger verteidigen, die um der Freiheit willen bedrückt werden oder in diese Gefahr kommen.
So er jedoch die Stelle aus dem großen und schönen Nationalepos der Deutschen, Hermann und Dorothea, liest, wo Johann Wolfgang von Goethe als Zeitgenosse über die revolutionären Ereignisse berichtet, senken sich Trauer und Verzweiflung auf das verzagte Gemüt:
Und es praßten bei uns die Obern und raubten im großen, und es raubten und es praßten bis zu den Kleinsten die Kleinen: jeder schien nur besorgt, es bleibe was übrig für morgen. Allzu groß war die Not, und täglich wuchs die Bedrängung; niemand vernahm das Geschrei, sie waren die Herren des Tages.
Die Bastille, das Pariser Stadtgefängnis und Bollwerk der Könige von Frankreich, gefürchtet und gehaßt, war, von gräßlichen Straßenszenen und schändlichen Mordtaten begleitet, am 14. Juli 1789 gestürmt. Wie ein furchtbares Wetter von Westen zog die Revolution herauf. Die Blitze des Aufstands schlugen in allen Städten und Dörfern der Franzosen ein und ließen überall die Flaiumen der Empörung gegen Fürstendienst und Herrscherwillkür auflodern.
Das Feuer der Befreiung von Knechtschaft und Unterwerfung, in den weiten französischen Provinzen ausgebrochen, griff, drei Jahre lang in den deutschen Reichslanden mit Macht eingedämmt oder mit Gewalt unterdrückt, über die Grenzen hinaus ins Saargebiet über und steckte, durch das verführerische Wort von der Freiheit entfacht, nicht nu r die Köpfe hitziger junger Leute in Brand. Auch die maßvoll besonnenen Kräfte der freiheitsliebenden Völker an der Westgrenze unseres Vaterlandes bekannten sich, von den großen Ideen aus dem Nachbarland entzündet zu den neuen Entwürfen und Gesetzen eines menschlichen Zusammenlebens und traten, mutig und entschlossen, für die revolutionäre Sache ein.
Das Saarland, von jeher Drehscheibe europäischer Kraft und Bewegung, wurde eine Bühne großartiger Bilder von mitreißender Gewalt. Der erste Schauplatz des dramatischen Geschehens stellte seine Bewohner über Nacht in den Brennpunkt historischer Ereignisse. Am 14. November des Jahres 1792 rückte, durch Eilboten der Nationalversammlung in Paris angekündigt, das von General Gaston Ligneville befehligte Revolutionsheer, ein buntes Gemisch von Nationalgardisten und Freischärlern, Fußtruppen und berittenen Soldaten, 10.000 Mann stark, in die reichsgrafschaftlichen Lande Fürst Ludwigs von NassauSaarbrücken ein und bezog, geleitet von Offizieren der Schloßwachen und Abgeordneten der Bürgerschaft, teils Quartiere in den Städten St. Johann und Malstatt, teils Feldlager auf den Saarwiesen bei Altsaarbrücken.
Die Leidenschaften der Menschen an der Saar erwachten, und das Feuer der Begehrlichkeit wuchs unter ihnen heran, gedemütigte Städter und unterdrückte Bauern, Unzufriedene wie Wohlmeinende, kamen aus ihren Häusern, Hütten und Höfen und eilten, die Trikolore entfaltend, durch die Straßen und Gassen. Sie strömten in hellen Scharen auf die Märkte und Plätze und schrien die Parolen der Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit aus ehrlich begeistertem Herzen. Tapfere St. Johanner traten aus ihren Bürgerhäusern, Kaufläden und Werkhallen heraus, erhoben ihr stolzes Haupt und zeigten kühn das freie Antlitz. Sie steckten sich die Kokarde an den Hut, zogen, die Marseillaise singend, zum Marktbrunnen, pflanzten auf dem Rathausplatz die schönste Fichte aus dem Stadtwald als Freiheitsbaum auf und ließen den Ruf erschallen: Es lebe die Republik!
Weder die Reiter des Nassau-Saarbrückischen Regiments noch die Soldaten der fürstlichen Schloßwachen wagten gegen die Demonstranten vorzugehen, und die herrschaftsvereidigte Bürgerwehr wurde vom Magistrat, teils aus Unsicherheit, teils aus Klugheit, zurückgehalten. Unter dem Schutz des allgegenwärtigen französischen Armeekorps konnte sich der aufgebrochene Freiheitswillen der Untertanen ungehindert kundtun, und der regierende Fürst der Grafschaft wie die Ratsherren der Saarmetropoleersehnten unterschiedliche Ziele der Hoffnung im Auge, daß Spuk oder Erwartung recht bald vorüber seien. Nach acht Tagen verließen die Franzosen ihre Stadtquartiere, brachen die Zeltlager auf den Saarwiesen ab und zogen den Fluß hinunter, um einen Vorstoß auf Trier zu unternehmen. Ein Reiterbataillon, zusammengeschart aus mutigen Söhnen der Stadtgeschlechter und ausgestattet von reichen Patriziern, ein kleines Heer von Köllertaler Bauern - seit jeher die streitbarsten Grafschaftler - sowie ein Püttlinger Freikorps schlossen sich den Revolutionstruppen an, die sich, wohigeordnet und diszipliniert, die alte Flußstraße entlang zur Mosel hin bewegten.
Sie kehrten jedoch unverrichteter Dinge von ihrem gescheiterten Zug gegen die Kurfürstenund Bischofsstadt Trier zu Anfang des Jahres 1793 zurück; zerlumpt, krank und elend, ihren tödlich verwundeten Feldherrn im Lazarettwagen, im Saartal angekommen, bezogen die Revolutionssoldaten, enttäuscht und unzufrieden, teils in den Städten, teils auf den umliegenden Dörfern, Winterquartiere und Standlager. Nachdem die Vorräte aus dem Armeetroß und den Marketendereien aufgebraucht, Wild in Wald und Feld vertilgt waren, griffen die Soldaten das Eigentum der Bürger an und raubten, was sie fanden. Von Tag zu Tag riß größere Zügellosigkeit unter den französischen Truppen ein, Befehle und Verbote der Vorgesetzten fanden bei den Soldaten immer welliger und schließlich keine Beachtung mehr.
Die Lage an der Saar wurde immer bedenklicher, und die Bewohner der Städte und Dörfer fingen an, die Befreier aus Frankreich, heißersehnt und freudig begrüßt, zu meiden und zu verachten. In dieser Zeit der Auflösung von Sitte und Gesetz, einer Epoche wachsender Unsicherheit, scharte ein hocherfahrener junger Mann aus Sarrelibre, bislang Saarlouis genannt, mit Namen Malepart Ickelsamer, dem Trunk nicht abhold und der Bestechlichkeit zugänglich, eine Kompanie marodierender französischer Söldner und saarländischer Freischärler zwielichtigster Herkunft um sich. Er besetzte Rathäuser der Städte und Dörfer und machte ihre Amtsstuben zu Krämerläden, wo man Verrat handelte und Befehle verkaufte und von wo aus Steuern eingetrieben und Standgerichte ausgeführt wurden. Wo immer der selbsternannte Statthalter der Revolution ein Bürgermeisteramt oder eine Schultheißerei besetzt hielt, breitete sich eine Gewaltherrschaft aus, die Angst und Schrecken unter der Bevölkerung hervorrief, waren doch seine Taten von Mord und Totschlag, Raub und Vergewaltigung begleitet.
Am 14. Februar 1793, dem Valentinstag, verließ die ,,Kupferkokarde", wie der Bursche aus Sarrelouis-Roden wegen seines rostroten Haarschopfes überall hieß, das Dillinger Rathaus, wo er den Sitz seines Revolutionsrates eingerichtet hatte, und sprengte mit einem Reitertrupp in Richtung Fremersdorf an der unteren Saar. In raschem Ritt dort angekommen, sahen die erschreckten Dorfbewohner, angstvoll in die Häuser geflüchtet und verstohlen hinter den Vorhängen stehend, bald, wohin der Weg des Ickelsamer führte. Der frühere Hausdiener und Schloßgärtner des Freiherren von Galhau, wegen Trunksucht und Diebstalil in Unehren aus herrschaftlichen Diensten entlassen, schickte sich offensichtlich an, den Herrensitz derer von Galhau in seine Gewalt zu bringen.
Nachdem die Schloßwache überwältigt, teils gefesselt als Gefangene abgeführt, teils erschossen oder erstochen in den Parkweiher geworfen, die schweren Gartentore aufgesprengt waren, drang die marodierende Meute, Revolutionäre und Rebellen von der übelsten Sorte, falsch und nichtswürdig allesamt, in das Innere des SchIoßgebäudes, trieben Dienerschaft und Gesinde unter Fluchworten und Lanzenpuffen in den Burghof und suchten die Gemächer nach der gräflichen Familie ab. Da der Freiherr mit seinen Kindern vor einigen Tagen das Haus verlassen hatte, um sie auf seinen rechtsrheinischen Besitzungen in Sicherheit zu bringen, stießen die Eindringlinge nur auf die junge Baronin von Galhau und ihren alten, fast achtzigjährigen Vater, die sich mit einer edlen, tigerartigen Katze, dem Lieblingstier der Schloßherrin, ins Erkerzimmer des Wehrturms geflüchtet hatten und angstvoll der Dinge harrten. Malepartus Ickelsamer, der sich als Kommissar des Revolutionsrates zu Paris ausgab, von den bedrängten Edelleuten mit Entsetzen wiedererkannt, verlangte kaltschnäuzigen Tons und haßsprühenden Blicks, mit gebieterischer Stimme, die Schlüssel zu Schatztresor und Weinkeller herauszugeben. Die Gefangenen verweigerten, sei es, daß sie keinen Bescheid zu geben wußten, sei es, daß ihr Aristokratenstolz der schamlosen Dreistigkeit des ehemaligen Schloßdieners die Stirn bieten wollte, jede Auskunst. Aufgebracht und wutschnaubend gab der Bandenführer Malepartus den Marodeuren den Befehl, den Alten auf der Stelle zu töten. Schon vorher, unter gröbsten Beleidigungen und Verhöhnungen, mit Fußtritten und Säbelstichen traktiert, streckten sie den Wehrlosen zu Boden und peinigten ihn auf gräßlichste Weise zu Tode.
Als der begehrliche Anführer Hand an die junge Frau legte, ging die Tigerkatze, die bislang den Mann mit dem bedrohlichen Rotschopf nicht aus den Augen ließ und fauchend zu Füßen ihrer Herrin saß, den Schurken mit einem gewaltigen Satz an, biß sich an seinen Händen fest und zerkratzte dem wild um sich Schlagenden das Gesicht. Der wüste Gesell ließ sich von seinem Vorhaben, der Baronin Gewalt anzutun, nicht abbringen. Es gelang ihm, das verwünschte Tier von sich abzuschütteln, er stürzte sich auf die Edelfrau und verübte das Schändliche an seinem willenlosen Opfer. Vor Entsetzen über die Gewalttaten, die der Schloßherrin und dem alten Vater zugefügt wurden, sprang die Katze auf einen hohen Schrank, reckte sich hoch empor und erstarrte zu Stein. - Von Angst und Schrecken über die unheimliche Verwandlung des Tieres gepackt, verließen die Schurken in heilloser Flucht Zimmer und Schloß, warfen sich auf ihre Pferde und stoben, als sei der Teufel hinter ihnen her, in alle vier Himmelsrichtungen. Vom Revolutionsführer Malepartus Ickelsamer fehlte seither jede Spur. Seine Spießgesellen, ohne Haupt und Führer, kopflos und versprengt, wurden teils gefaßt und an Straßenbäumen aufgeknüpft, teils tot aus der Saar gefischt und am Schindanger verscharrt. Das Gerücht, daß Maleparte, genannt Kupferkokarde, als Mitglied der Pariser Kommune bei der Beendigung ihrer Bluts und Schreckensherrschaft unter das Fallbeil gekommen sei, hielt sich lange in der Gegend uni Saarlouis und Dillingen und galt, ungeachtet der unverbürgten Tatsache, als Aufweis und Bild für die Wirklichkeit der Geschichte und die Wahrheit der Sage. | |